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Autor: Rolf Kurath Arbeitswelt Digitalisierung Organisationsentwicklung Mittwoch, 01 Juli 2015

Schwarmdummheit und Identitätsmanagement

Das Inputreferat von Adrian Bult zum Abschlusspanel des asut-Seminars „Wege zur digitalen Schweiz“ letzte Woche hat mich veranlasst, zwei neue Bücher über unser Verhalten in der Arbeitswelt zu lesen. Um innovativer und schneller zu werden, brauche es gemäss Bult neue Arbeitsformen, mehr Interaktion und stabile Netzwerke von Freunden. Diese fachliche Sommerlektüre, auch im Liegestuhl gut verträglich, kann ich dazu empfehlen: In „Schwarmdumm“ behandelt Gunter Dueck die „selbstverschuldete Kompliziertheit unseres Lebens“ und zeigt auf, wie genial Einfaches entstehen kann. Die GDI-Studie „We-Dentity“ beleuchtet den Einfluss sozialer Identitäten auf das Verhalten von Personen und Gruppen in der digitalen Welt.

Gute Arbeit ist kein Wettkampf!

Gunter Dueck, ehemaliger Cheftechnologe von IBM Deutschland, erzählt mit treffenden Bildern gute Geschichten über das Führungs- und Kooperationsverhalten in der heutigen Arbeitswelt und über die absehbaren Veränderungen. Ähnlich wie andere in diesem Blog zitierten Expert/innen prognostiziert er den Wegfall der Routineanteile in den meisten Berufen. Die Arbeit werde deshalb verdichtet, stressig, komplex und dadurch riskanter als heute. In seinem Vortrag auf dem Bertelsmann BarCamp “Arbeiten 4.0” vom 3. Juni 2015 zeigte er auf, wie die „analoge Schwarmdummheit“ überwunden werden kann. Sein neues Buch ermuntert zur Reflexion über eigenes Verhalten und identifiziert auch Handlungsbedarf für die Volksschule.

Gunter Dueck, 3. Juni 2015

Dueck ist der Meinung, dass die Schwarmdummheit unseren Alltag bestimme. Im Meeting gewinne unter Arbeitsdruck das Simple gegen das Exzellente, weil alle in Teilsichten verharren und keinen Blick auf das Ganze haben. Diesen Effekt thematisiert Dueck mit dem Begriff der Schwarmdummheit. Gleichzeitig vermittelt er uns eine Ahnung davon, wie das genial Einfache entstehen könnte. Dabei orientiert er sich an der Einfachheitskurve von Olivia Mitchell:

Einfachheitskurve Mitchell

Einfachheitskurve Dueck

Nährböden der Schwarmdummheit

Folgende Phänomene seien dafür verantwortlich, dass Teams ungenügende Ergebnisse erzielen:

  • Ständige Eile und Stress – Tendenz, immer das gerade Dringendste zu tun.
  • Ereignisgetriebenheit – wer zu viele Pendenzen hat, arbeitet immer an denen, bei denen Nichterledigung zu Ärger führt.
  • Lokale Lösungen – in der Eile richtet sich der Tunnelblick auf das Nächstliegende.
  • Persönliche Lösungen – in der Eile wird zuerst die eigene Haut gerettet.
  • Abnehmende Kompetenz unter Druck – Inkompetenz agiert unter Druck quantitativ und vernachlässigt die Qualität.
  • Selbstüberschätzung hart arbeitender Inkompetenter, welche sich kritikbefreit fühlen.

Gemäss Dueck leidet die heutige Arbeitswelt unter unrealistischen Zielen und Auslastungswahn. Er empfiehlt, nicht mehr als 85% seiner Zeit zu planen und erinnert an die drei Mu-Prinzipien von Kaizen (Veränderung zum Besseren):

  • Keine Verschwendung! (Muda)
  • Keine Überlastung von Mitarbeitenden und Maschinen! (Muri)
  • Keine Unregelmässigkeiten in den Prozessabläufen! (Mura)

Wie entsteht genial Einfaches?

Schwarmdummheit entstehe aus dem Versuch, die Arbeit als Wettkampf zu organisieren. Kämpfen und gewinnen! Dieser Zustand unterscheidet sich markant vom gesunden Wetteifer, vom gemeinsamen Streben nach einer guten Leistung, von der Sehnsucht nach dem genial Einfachen. Zuerst brauche es in Anlehnung an Malcolm Gladwell „The Tipping Point“ einen magischen Wendepunkt wie die grossen sinnstiftenden Sätze von Martin Luther King „I have a dream“ oder John F. Kennedy „In zehn Jahren landen wir auf dem Mond!“. Damit eine starke Bewegung in Gang kommt brauche es Identifikationsfiguren und Netzwerke, welche über Jahre dranbleiben. Ein grosses Ziel könnte zum Beispiel sein, die Schweiz zum ersten Land umzubauen, in dem der Besitz von Privatautos verboten wäre. Der Individualverkehr wird durch selbstfahrende Autos abgewickelt, die jedem als Taxi zur Verfügung stehen. Wir könnten so mit ca. einem Fünftel der Fahrzeuge auskommen = weniger Energie, Parkraum, Unfälle – und mehr Selbständigkeit im Alter etc. Ein weiterer Traum von Dueck: Mitarbeitende wie Freiwillige für ein Vorhaben gewinnen und führen, denn Freiwillige kommen aus eigenen Stücken, weil sie etwas bewegen oder irgendwo helfen wollen.

Erfrischend wie eine kalte Dusche nach einem heissen Sommertag, dieser Dueck. Dazu passend neue Forschungsergebnisse aus der Verhaltensökonomie:

Identitätsmanagement?!

Unsere sozialen Identitäten/Rollen – Vater, Fussballerin, Weintrinker oder Chefin – bieten Orientierung und beeinflussen unser Verhalten. Durchschnittlich haben wir zehn verschiedene Identitäten. Die sozialen Medien erweitern deren Auswahl. Daraus ergeben sich Chancen und Risiken. Je mehr wir über Identitäten wissen, umso besser können wir das Verhalten von uns selbst und anderer erkennen und steuern. Eine neue GDI-Studie zeigt auf, wie das digitale Netzwerk-Ich die Gesellschaft verändert und legt uns nahe, unsere Identitäten sorgfältig zu managen.

GDI-Studie We-Dentity

Eine soziale Identität ist dann vorhanden, wenn wir von „wir“ sprechen. Dass wir uns in unterschiedlichen Gruppen anders verhalten, ist keine neue Erkenntnis. Neu ist, dass der Einfluss unserer sozialen Identitäten auf unser Verhalten gemessen werden kann. So zeigen asiatisch-amerikanische Frauen bessere Leistungen in Mathematik, wenn sie an ihre asiatische Herkunft erinnert werden. Straffällige verhielten sich in einem CH-Experiment weniger ehrlich, wenn ihre kriminelle Identität hervorgehoben wurde. Auch die Kleidung beeinflusst das Verhalten. Angehörige der Schweizer Armee handelten im Durchschnitt weniger ehrlich, wenn sie die Uniform trugen. Und Personen, welche einen Ärztekittel tragen, erzielen bessere Leistungen als Personen in Alltags- oder Handwerkerkleidung.

Diese Erkenntnisse sind deshalb interessant, weil die Digitalisierung unsere sozialen Identitäten erweitert und verändert. Während bisher soziale Identitäten geerbt oder durch eigene Anstrengung erarbeitet wurden, sind heute mögliche soziale Identitäten und dazu passende Netzwerke in Fülle vorhanden. Ich kann jederzeit und beliebig zwischen verschiedenen digitalen Identitäten wechseln. Zudem werden Identitäten immer stärker sicht- und messbar für Anbieter wie Amazon oder Institutionen wie die NSA. Dadurch wird die Beeinflussung von Personen und Gruppen erleichtert: Für Unternehmen, welche Entscheidungen von Kunden beeinflussen oder das Verhalten der Mitarbeitenden gestalten wollen oder für Institutionen, welche Normen durchsetzen wollen. Wenn wir nicht wollen, dass andere unsere Identitäten managen, sollten wir sicherstellen, dass Anbieter nur jene Daten erhalten, welche für die Leistungserbringung unmittelbar erforderlich sind. Oder wir können gezielt Datenspuren setzen, um uns zu profilieren. Die GDI-Studie zeigt eindrücklich auf, dass das Management der individuellen Identitäten ein Gebot der Stunde ist.

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