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Autor: Rolf Kurath Arbeitswelt Digitalisierung Führung Montag, 17 September 2018

Wie der Wandel gelingen kann

Erneut liegt im Spätsommer ein neues Buch von Felix Frei vor. In „Aufbruch zu Autonomie“ ergänzt und schärft er seine in den letzten Jahren publizierten Erkenntnisse zur Zukunft der Erwerbsarbeit (bis hin zu direkt anwendbaren Hilfsmitteln) und wagt sich meines Wissens erstmals an grosse gesellschaftliche Fragen. Ausgehend von der These, dass die Digitalisierung schlichtweg alles verändere, werden die Treiber des Wandels und ihrer Folgen für Menschen, Organisation und Führung plausibel erklärt. Auch Tabubereiche wie die Systemlogik der Finanzwirtschaft und die Doktrin des grenzenlosen Wachstums werden schonungslos ausgeleuchtet.

Der Arbeitswelt-Erklärer

Der Arbeitspsychologe begegnet mir in seinem flüssigen Text zunehmend als Arbeitswelt-Erklärer. Seine Beispiele wie dieses zum Wandel der Lebensverhältnisse „Wir (Babyboomer) sind die erste Generation, welche die Geburt, die Hochblüte und den Tod einer Technologie (Fax) erleben kann“ und die Erklärungskästen sind sehr nützlich. Meisterhaft gelungen ist die Identifikation und Herleitung von fünf Treibern der sich beschleunigenden Verflüssigung der Verhältnisse (S. 29 ff.):
• Technologische Entwicklung.
• Eine globale Trustokratie.
• Radikale Algorithmisierung.
• Das konsumistische Subito (und der Zerfall der Käuferloyalität).
• Eigenlogik des Managements.

Felix Frei strafft seine Erkenntnisse über die dominierenden Prinzipien von selbstführenden Organisationen zur Checkliste (S. 68f.) und beschreibt die Voraussetzungen für den Paradigmawechsel (Resilienz und Ich-Entwicklung der Beteiligten).

Seine Einschätzung des HR-Management ist plausibel, zumal Felix Frei ein Programm für die HR-Transformation mitliefert. Zum Beispiel: Die Personal- und Führungsentwicklung fokussiert auf Interventionen, welche Menschen befähigen, in Autonomie und Verantwortung ihre definierten Rollen wahrzunehmen, bis hin zur „Inkompetenzkompensationskompetenz“. Sehr hilfreich ist das Kondensat zur Führungsentwicklung mit den „Glorreichen Sieben“ (S. 164 f., Fragen zu sieben Themenbereichen).

Felix Frei plädiert für ein neues Verständnis von Rationalisierung: „Rationalisierung ist gut, wenn der damit erzielte Produktivitätsfortschritt via Arbeitszeitverkürzung auch gesellschaftlichen Profit stiftet.“ Zuerst erklärt er drei Abflussrohre steigender Produktivität (Gewinnabschöpfung, Mehrleistungen und Bullshit Jobs) und kommt zum Schluss, dass der Zwang zur Existenzsicherung niemanden in Bullshit Jobs drängen soll. Recht hat er, aber ob das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ein realistischer Ausweg ist? Dazu gibt es insbesondere das sorgfältig entwickelte, 2015 in "Würde, bedingungslos" vorgestellte Modell von Denknetz:

Das Mosaik BGE von Denknetz

Das Mosaik-BGE umfasst drei Kernbausteine: Die Allgemeine Erwerbsversicherung, die Grundsicherung sowie ein bedingungsloses Sabbatical für alle. Die Allgemeine Erwerbsversicherung soll alle heutigen Sozialversicherungen für die Erwerbsphase vereinen und die Risiken von Erwerbslosigkeit, Unfall, Krankheit, Invalidität und Mutterschaft nach dem Finalitätsprinzip umfassend abdecken. Die Grundsicherung entspricht einer Ausweitung der heutigen Ergänzungsleistungen auf alle Personen, deren Einkommen nicht zur Bestreitung einer würdigen Existenz ausreicht. Mit der Grundsicherung würde auch die heutige Sozialhilfe abgelöst.

Ich würde es sehr begrüssen, wenn wir den im Gang befindlichen Abbau von Ergänzungsleistungen und Sozialhilfe nicht zulassen und uns in Richtung Allgemeine Erwerbsversicherung bewegen. Leider ist das unter den aktuellen, von der Versicherungs-Lobby geprägten politischen Mehrheitsverhältnissen unrealistisch – und deshalb wird die Verteilung des Produktivitätsfortschritts durch Verbesserung der Anstellungsbedingungen und Arbeitszeitverkürzung eine Sache der Sozialpartner bleiben.

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