Autor: Rolf Kurath Beweglichkeit Grundlagen Philosophie Samstag, 08 Juni 2019
Am Himmel kaum Gefälle
Hochwertige Kultur, was der Wortbildhauer Max Dohner diesen Frühling abgeliefert hat, seine Anreicherung von Beschreibung, Analyse oder Idee mit sorgsam ausgewählten Bildern. Mario Vargos Llosa sollte das wissen. Und es ist genau das Richtige für die Lektüre auf dem Liegestuhl im Frühsommer-Garten.
22 Geschichten und Porträts von Max Dohner
Literaturnobelpreisträger Mario Vargos Llosa nannte kürzlich in der SRF Sternstunde Philosophie auf die Frage, was ihn aktuell beschäftige, unter anderem den Verfall der Kultur. In unserer Zeit werde den Bildern ein Vorrang über die Ideen gegeben. Zudem seien Bilder nicht mit Ideen angereichert - die Bilder hätten die Ideen ersetzt. Eine solche Kultur sei als minderwertig zu betrachten.
Mit dieser Diagnose im Kopf habe ich „Am Himmel kaum Gefälle“ von Max Dohner aufgeschlagen und war während der ganzen Lektüre in den Bann gezogen von starken Bildern, welche meine Aufmerksamkeit auf den Erzählstrang und die Erkenntnisse des Autors lenkten.
„Noch schroffer geht nicht.“ Der Einstieg in den ersten Text lässt die Dramatik des Ereignisses erahnen, das sich im Februar 1946 zwischen Andermatt und Göschenen abgespielt hat. Weil die Centralschweizerischen Kraftwerke die Ursenen zu einem gigantischen Wasserkraftwerk umgestalten wollten, hat eine aufgebrachte Meute von Berglern den Vertreter des Energieversorgers mit Gewalt aus dem Dorf gejagt. Die Geschichte wird im Gespräch mit einem Beteiligten und dem Sohn des verprügelten Ingenieurs geduldig vertieft. Sorgfältig ausgeleuchtete persönliche Begegnungen liefern dem Autor auch die Ton- und Bildspur für die subtilen Porträts von Zeitgenossen: Über den magischen Politik-Erklärer Claude Longchamp, das Mysterium Jean Ziegler, den mächtigen und zähen Egomanen Fidel Castro. Meisterhaft gelungen ist die akribische Beschreibung der überirdischen Strahlkraft von Lady Belle Michelle O., hier gestützt auf Video-Konsum in Endlosschlaufe - zu einem Date sei es noch nicht gekommen.
Der gleichaltrige Max und ich sind in Uetikon am See aufgewachsen. Deshalb werden Uetiker Erinnerungen geweckt an das Fischen beim Eindunkeln in der Haab, an die Chilbi am ersten Oktober-Wochenende auf dem Schulhausplatz, an Täler und Orte in der Nähe: Walensee, Walenstadt, Monte Vuala (als dort auch Männer Gäste sein durften), das mediterrane Quinten im Spätwinter oder die Staumauer des Sihlsee.
Bilder geben auch dann eine passende Orientierung, wenn uns Normalos die Worte fehlen. Ganz grosse Klasse sind deshalb die Stücke über das Undenkbare von Rupperswil „… mittendrin lauerte das Reptil…“ und die traurige Geschichte von Nora, einer 68erin aus Nicaragua, beim Essen der Langosta al Thermidor.
Hochwertige Kultur, was der mehrfach ausgezeichnete Wortbildhauer Max Dohner diesen Frühling abgeliefert hat, seine Anreicherung von Beschreibung, Analyse oder Idee mit sorgsam ausgewählten Bildern. Mario Vargos Llosa sollte das wissen. Max Dohner liest am 13. Juni 2019 in der Bibliothek Uetikon am See.