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Autor: Rolf Kurath Gesellschaft Grundlagen Philosophie Mittwoch, 31 Dezember 2014

Chancengerechtigkeit

Das Caritas-Jahrbuch zur sozialen Lage der Schweiz ist für mich unverzichtbar geworden. Der „Sozialalmanach 2015" liefert Fakten zur Bedeutung der Zuwanderung für unseren Wohlstand – heute und in der nahen Zukunft. Zudem wird aufgezeigt, dass die zunehmende Abkoppelung des Wirtschaftswachstums von der Wohlstandsentwicklung die soziale Stabilität der Schweiz gefährden kann.

Seit 1999 analysiert Caritas Schweiz die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Schweiz, identifiziert sozialpolitische Trends und vertieft diese mit Unterstützung von Gastautor/innen. Dieses Jahr steht die Migration im Vordergrund.

Caritas Sozialalmanach 2015

Warum wir so reich sind

Auffallend ähnlich ist die Argumentation der beiden Vertreter der Sozialpartner. Thomas Daum, ehemaliger Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, und Martin Flügel, Präsident von Travail.Suisse, belegen die Abhängigkeit des CH-Wohlstands von den „Geistesblitzen und der Muskelkraft" von Zuwanderern. Diese hätten für bedeutende Unternehmen, zum Teil ganze Branchen wie die Uhrenindustrie eine entscheidende Rolle gespielt, und ohne den andauernden Zustrom von ausländischen Arbeitnehmenden gäbe es keine erstklassige
Verkehrs- und Energieinfrastruktur. Beide Autoren stehen für eine Migrationspolitik, welche die Schweiz als Einwanderungsland begreift und die Arbeitskräfte, die hierherkommen, auch als Menschen in die Gesellschaft aufnimmt.

Trotz Platz 1 im WEF-Ranking ist das soziale Existenzminimum verhandelbar geworden

Zum 5. Mal in Folge belegte die Schweiz im jährlichen Ranking des World Economic Forum bezüglich Wettbewerbsfähigkeit den ersten Platz. Zudem gehören wir zu den besten Innovatoren. Daraus ergibt sich eine stabile wirtschaftliche Entwicklung, die besser ist als jene der meisten europäischen Länder. Trotzdem hat die Armut zwischen 2013 und 2014 zugenommen. Derzeit ist jede 13. Person von Einkommensarmut betroffen: 590'000 Männer, Frauen und Kinder sind arm, darunter überdurchschnittlich viele Alleinerziehende und Niedrigqualifizierte.

Obwohl wir uns auf der Spitze der Wohlstandspyramide befinden und es einen Verfassungsanspruch auf Hilfe in Notlagen gibt, ist das soziale Existenzminimum verhandelbar geworden. In zahlreichen Kantonen sollen die breit abgestützten, nationalen SKOS-Richtlinien durch eigenes Recht ersetzt werden. Es gibt Bestrebungen, den statistisch erhobenen Grundbedarf durch eine willkürliche, von den Gemeinden definierte Grenze zu ersetzen. Dadurch würden die ohnehin knappen finanziellen Mittel nochmals beschnitten und des besteht das Risiko, dass die Teilhabe an der Gesellschaft verunmöglicht wird. Besonders für Kinder hat es fatale Folgen, wenn z.B. der Nachhilfeunterricht oder das Mitmachen in Sportvereinen aus finanziellen Gründen nicht möglich sind. Dies widerspricht meinem Verständnis von Chancengerechtigkeit.

Nur freie Personen schaffen und erhalten eine freie Gesellschaft

In diesem Zusammenhang interessant ist der Beitrag des deutschen Philosophen Otfried Höffe in der NZZ vom 29.12.2014:

Aus dem Geist der Aufklärung

Mit Bezug auf die prominenten Denker des Liberalismus (Smith, Bentham, Rawls und andere) vertritt er die Meinung, dass der Liberalismus nur dann zukunftsfähig sei, wenn er sich einerseits interkulturellen Diskursen öffnet und andererseits drei Herausforderungen bewältigt: Stärkung der Bürgergesellschaft, föderale Weltrechtsordnung sowie Umschichtung der Staatsaufgaben zugunsten von Investitionen in die zukünftigen Generationen. Damit meint Höffe auch den gleichberechtigten Zugang aller Menschen zum Bildungswesen sowie zu den kulturellen Institutionen als urliberales Anliegen – das leider in der Tagespolitik in Vergessenheit geraten ist.

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