rk blog 8169

Autor: Rolf Kurath Beweglichkeit Grundlagen Klima Mittwoch, 07 August 2019

Erderwärmung: Die Zeit der faulen Ausreden ist vorbei

Selten hat mich ein Sachbuch so in seinen Bann geschlagen wie kürzlich „Die unbewohnbare Erde“ von David Wallace-Wells. Die aktuelle Recherche erschliesst eine grosse Breite der klimawissenschaftlichen Fachliteratur. Der amerikanische Autor zeigt schonungslos auf, dass die globale Klimaerwärmung weit mehr Dimensionen unseres Lebens dramatisch verändern wird als ich bisher angenommen habe. Auch wenn das Pariser Abkommen von 2015 rechtzeitig umgesetzt werden kann (Begrenzung der Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad - für Wallace-Wells der Best Case), werden wir und unsere Nachkommen dauernd von den irreversiblen Folgen der CO2-Last in der Atmosphäre betroffen sein.

„Die unbewohnbare Erde“ von David Wallace-Wells

Seit ich vor gut 40 Jahren die MIT-Studie des Club of Rome zur Zukunft der globalen Gesellschaft verstanden habe, orientiere ich mich daran. Privat war ich mit meiner fossilen Mobilität immer sehr zurückhaltend und in den 1980er Jahren gerne der einzige Spinner in meinem Umfeld, der den Luftverkehr rationieren wollte (damals mit „alle acht Jahre ein Langstreckenflug“). Wir haben ein Einfamilienhaus gekauft, das seit 20 Jahren mit einer Luftwärmepumpe beheizt wird (Erdsonde wegen Gewässerschutz leider nicht möglich), beziehen EKZ Naturstrom Star und sind mit Pflanzen und Garten gut unterwegs. Fleisch essen wir noch recht viel, verlagern aber zunehmend auf Schaf und Huhn. Mein ESO-CO2-Fussabdruck entspricht mit 7,38 Tonnen dem Weltdurchschnitt.

Der Klimawandel kommt nicht – er ist bereits da
Bis zur Publikation des letzten IPPC-Berichts (Intergovernmental Panel on Climate Change) im Herbst 2018 bin ich davon ausgegangen, dass ich mit laufender Optimierung bei Wohnen, Mobilität und Verpflegung bald auf unter 4 Tonnen kommen kann und das Problem damit für mich gelöst sein wird. David Wallace-Wells ergänzt nun die trockenen IPPC-Fakten mit plausiblen Prognosen für fast alle Lebensbereiche. Zuerst lenkt er den Blick auf meine persönliche Umwelt und jüngste Erfahrungen: Da ist der in den letzten Jahren mehrfach aufgetretene Starkregen, welcher schon einmal den Keller überschwemmt und präventive Massnahmen sowie die Anschaffung einer leistungsfähigen Pumpe mit 20 Meter Feuerwehrschlauch erforderlich gemacht hat. Wenn ich aus dem Küchenfenster schaue, sehe ich im Wald gegenüber neben den Sturmschäden immer mehr verdorrte Bäume. Im selben Wald (und in den Wiesen um unser Haus) erleben wir eine Zeckeninvasion und erfahren nach dem Zecken-Biss vom Arzt, dass die Lyme Borreliose noch wenig erforscht ist und nur reaktiv behandelt werden kann. Dazu kommen der Sahara-Staub, der sich immer häufiger auf den Flächen in unserer Nähe niederlässt, die Hirzler Hitzewochen von 2018 und 2019, die Meldungen über instabile Wanderberge in der Nähe: Der Klimawandel kommt nicht – er ist bereits da.

Peanuts im Vergleich zu dem, was uns bevorsteht
Gemäss Wallace-Wells wird es deutlich mehr sein als sich verstärkende Hitzewellen, das Ansteigen des Meeresspiegels mit Folgen für alle Küstengebiete, nicht löschbare Waldbrände und andere Naturkatastrophen, die Migration aus Syrien und Afrika nach Europa. So droht ein in absehbarer Zukunft permanentes Ernährungsdefizit. Die Verschiebung der fruchtbaren Regionen, der Schwund von Humus, der Mangel an Wasser und die steigende CO2-Konzentration in der Luft mit Folgen für Pflanzen können dazu führen, dass weltweit weniger Kalorien und Protein produziert werden, als die wachsende Weltbevölkerung verbraucht. Es besteht zudem das Risiko, dass Hitze, Wasser- und Nahrungsmangel gravierende Auswirkungen auf die Gesundheit der gesamten Menschheit haben werden. Erschreckend auch die gegenseitigen Abhängigkeiten der Ereignisse und die zunehmende Geschwindigkeit ihres Auftretens.

Wallace-Wells (hier im ausführlichen Podcast)

zeigt nüchtern auf, dass Wohlstand und Fortschritt der letzten 150 Jahre primär auf der fossilen Energie basiert. Auf diese müssen wir in Kürze verzichten: Gemäss IPPC 2018 dauert es 10 bis 25 Jahre, bis die Menschheit ihr verbleibendes CO2-Budget aufgebraucht hat. Daraus folgt die globale Forderung, der CO2-Ausstoss sei bis spätestens 2050 (Pariser Abkommen) auf netto Null zu senken. Dabei wird uns Carbon Engineering nur wenig helfen: Um rechtzeitig Wirkung zu erzielen, müsste ab sofort jede Woche eine industrielle Gross-Anlage in Betrieb genommen werden – heute gibt es weltweit erst ein paar kleine Pilotanlagen.
Auch von den steigenden immensen Kosten ist die Rede: Wallace-Wells berichtet detailliert über volkswirtschaftliche Studien, welche mit einem Einbruch des weltweiten Bruttoinlandprodukts um einen Viertel und mehr bis Ende Jahrhundert rechnen – deutlich mehr als die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahren verursacht hat. Sehr viel Geld also, das wir für CO2-neutrale Technologien und für die Bekämpfung der Folgen der Erderwärmung aufwenden müssen.

JETZT Handeln
Eine düstere Perspektive, welche mit 65 Seiten Quellennachweisen belegte Recherche eröffnet. Deshalb müssen wir JETZT umdenken und mutig handeln: Unseren persönlichen Fussabdruck reduzieren, in den eigenen Sphären Einfluss nehmen (z.B. um unsere Wohngemeinde mittels Investitionen und Regulierung auf Netto Null-Kurs zu bringen) und wählen gehen. Am 20. Oktober 2019 wird das nationale Parlament für die nächsten vier Jahre neu gewählt. Dabei gilt es, die Klimabewegung markant zu stärken. Dabei überzeugt mich die SP Schweiz durch ihre Politik und Fachkompetenz seit Jahrzehnten am meisten (deshalb bin ich Mitglied). Sie hat kürzlich mit ihrem Klima-Marshallplan ein umfassendes Programm lanciert, um diese historische Herausforderung für die Schweiz zu meistern.

Bitte Kommentar schreiben

Sie kommentieren als Gast.

Diese Seite verwendet Cookies und Google Analytics.  Durch Klick auf den Akzeptieren-Button geben Sie Ihre Zustimmung zur Verwendung von Cookies und dadurch die Datenübertragung an Dritte (auch nach USA).