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Autor: Rolf Kurath Arbeitswelt Digitalisierung Sozialpolitik Mittwoch, 17 Februar 2016

Grundeinkommen ja, aber anders

Die Debatte zur Abstimmung vom 5. Juni 2016 über die „Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ ist angelaufen. Angefeuert von düsteren Beschäftigungsprognosen wie z.B. jene des WEF 2016 scheint die Zustimmung der ICT-Prominenz zuzunehmen. Dies im Gegensatz zum Parlament, wo es deutlich weniger Zustimmung gab als bei andern sozialpolitischen Vorlagen. Angesichts der durch die Digitalisierung ausgelösten Umwälzungen im Arbeitsmarkt lohnt es sich, dieses Spannungsfeld etwas auszuleuchten.

Industrie 4.0 und Arbeitswelt

Gemäss meinen Quellen (u.a. Martin Kuhlmann, Industriesoziologe SOFI Göttingen) gibt es noch keine gesicherten empirischen Befunde über die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Beschäftigungsvolumen – Prognosen sind reine Spekulation. Industrie 4.0 macht zudem den Eindruck eines politischen Projekts, das primär von Ausrüstern wie SAP getrieben wird. Deshalb sind noch viele Industriepraktiker skeptisch. Kuhlmann ist zudem der Meinung, dass die Entwicklung nicht disruptiv, sondern evolutionär erfolgen wird, dies in geeigneten Tätigkeitsfeldern wie kollaborative Robotik oder Predictive Analytics.

Dagegen besteht Einigkeit darüber, dass die Ansprüche an uns alle durch die Digitalisierung steigen werden. Neben den Herausforderungen im eigenen Aufgabenbereich gibt es neue Themen wie die Entwicklung von Freiräumen neben der Formalisierungslogik von IT-Prozessen sowie der Gestaltungsbedarf im Kontext neuer Arbeits- und Organisationsformen. Dazu kommen Brüche in der Erwerbsbiografie und Phasen von Erwerbslosigkeit für eine wachsende Zahl von Arbeitnehmenden.

Dies erfordert eine ständige, zielgerichtete Qualifizierung. Lynda Gratton zum Beispiel ist der Meinung, dass künftig bis zu 50% der mit Arbeit verbrachten Zeit auf die Übung und Weiterentwicklung von Fertigkeiten verwendet werden muss:

Lynda Gratton

Soziales Sicherungssystem überdenken

Deshalb kommt die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen zur richtigen Zeit, und sie muss respektvoll geführt werden:

Bedingungsloses Grundeinkommen

Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen. Der hinsichtlich Höhe und Finanzierung dieses Einkommens offen formulierte Initiativtext soll durch den Gesetzgeber konkretisiert werden.

Weltweit erste Abstimmung

Hier liegt das Kernproblem: Im Gegensatz zu den Initianten bin ich der Meinung, dass das Vorhaben nicht kostenneutral finanziert werden kann. Falls es der Gesetzgeber umsetzen will (und nicht wie bei der Mutterschaftsversicherung Jahrzehnte zuwartet), würde das bedingungslose Grundeinkommen heftige verteilungspolitische Kämpfe über seine Finanzierung sowie über die Verteilung der Erwerbsarbeit auslösen – und daran scheitern.

Debatte fruchtbar machen

Das Denknetz zeigt auf, wie dieser fortschrittliche Impuls fruchtbar gemacht werden kann:

Denknetz

Die Experten von Denknetz beschreiben ein Bündel von Reformvorschlägen. Dazu gehört zum einen das Modell einer garantierten Grundsicherung für alle, zum andern das Modell eines bedingungslosen Sabbaticals.

Allgemeine Erwerbsversicherung

Die seit 2009 diskutierte Allgemeine Erwerbsversicherung (AEV) vereint die bisherigen Sozialversicherungen, welche den Erwerbsausfall zwischen Berufseinstieg und Pensionierung abdecken. Diese grosse Reform schliesst zudem die Löcher der heutigen Sozialversicherungen und löst die kommunale Sozialhilfe durch eine integrierte Lebens- und Karriereunterstützung ab. Dies nicht bedingungslos: Zumutbare Erwerbsarbeit muss gesucht und angenommen werden. AHV, berufliche Vorsorge, Heilungskosten bei Krankheit und Unfall sowie die Sozialpartnerschaft sind nicht im Radar der AVE. Gemäss den Initianten könnte der Systemwechsel kostenneutral gestaltet werden (dies ohne die Investitionen für die Übergangsphase).

Das bedingungslose Sabbatical für alle (BSA)

In der Zeit zwischen dem 25. Lebensjahr und der Pensionierung sollen alle erwachsenen Personen mit Wohnsitz in der Schweiz drei Jahre bezahlten Urlaub beziehen können. Das BSA schafft damit die Möglichkeit, während einer gewissen Zeit diejenigen Lebensinhalte ins Zentrum zu stellen, die nicht mit der Existenzsicherung gekoppelt sind, also für die berufliche Neuorientierung, die persönliche Weiterentwicklung oder eine Weltreise. Während des Sabbaticals hätte man Anspruch auf das soziale Existenzminimum. Das Denknetz rechnet mit
jährlichen Kosten von knapp 5 Mia. CHF. Ein gewichtiger Haken an diesem sonst plausiblen Konzept: Zur Finanzierung sollen die Produktivitätsgewinne durch Steuern auf hohe Gewinne und Einkommen sowie auf Erbschaften abgeschöpft werden – was kaum mehrheitsfähig ist.

Es ist wünschenswert, dass das Konzept von Denknetz in der Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen mehr Beachtung findet.

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